Alle anderen wurden getäuscht: Mujinga Kambunji ist Europameisterin über 200 m. Emmanuel Ghisi aus München

Der Sport

Ab wann kann man jemanden als lebende Legende bezeichnen? Mujinga Kambundji (30) ist die grösste Leichtathletin, die die Schweiz je hatte. Einen Platz, den er diesen Sommer gefestigt hat: neue Schweizer Rekorde über 100 m (10,89) und 200 m. (22.05), Gold und Silber bei der Europameisterschaft, Gold bei der Hallenweltmeisterschaft, zwei Einzelfinals bei der Weltmeisterschaft.

Die Familie

Die Geschichte wird oft und gerne erzählt, ist aber auch einfach schön. Die Geschichte der vier Kaluanda-Brüder Mujinga, Muswama und Ditaji, die mit Papa Safuka und Mama Ruth die Schweiz und später die Welt in der Leichtathletik eroberten. Aber der Kampuchean-Stamm umfasst viel mehr Menschen: Tanten, Onkel, Freundinnen, Freunde. Zum ersten Mal bei einem internationalen Großereignis in München: Oma Hanni Nafzger (88). Pech gehabt, sagt Nafzger, trotz zweier Medaillen. “Sie hat alles alleine gemacht.” Das München-Erlebnis? „Wunderschön“, sagt sie. “Ich habe die Nationalhymne nur um hundert verpasst.” Für Kabunji ist die Farm ihrer Großmutter „der Ort, an den ich gehe, wenn ich etwas Ruhe brauche. Abseits der Stadt gibt es immer etwas Leckeres zu essen, ein warmes Plätzchen am Herd im Winter oder ein Plätzchen an der Sonne im Sommer. Es ist der Zufluchtsort, an dem sich die Familie versammelt.”

Liebe

In Mannheim lernten und verlieben sie sich in Coach Valerij Bauer, seit sechs Jahren sind sie ein Paar, Florian Clivaz (27) ist mittlerweile auch Manager und einer von Kambundjis Trainern, in München ist der ehemalige Sprinter der erste Trainer eines Majors Veranstaltung, die beinhaltet. “Ich schätze seine Meinung, seine Erfahrung”, sagt Kabunji. „Während eines Wettkampfs ist mein Blut nicht in meinem Gehirn, sondern in meinen Beinen. Deshalb kannst du mich keine komplizierten Dinge fragen. Er hat die Gabe, in solchen Fällen den analytischen Part zu übernehmen.“ In München haben sie ein sehr professionelles Verhältnis. „Wir haben getrennte Zimmer im Hotel“, sagt Clivaz. “Ich bin für sie da, wenn sie mich braucht.” Kabunji: „Wir machen das so, wie wenn mich ein anderer Trainer beobachtet: Man sieht sich beim Abendessen, dann geht man wieder getrennte Wege. Im Rennmodus ist eine gewisse Distanz erforderlich.“ So weit so gut, die beiden haben sich das gut überlegt. “Es ist ein Risiko”, sagt Clivaz. “Wenn das funktioniert, dann wird alles funktionieren.” In 22,32 Sekunden zum EM-Gold: 200-m-Lauf von Königin Kabunji (00:25)

Die Fans

Apropos Liebe, die Liebe, die Kabunji in der Welt der Leichtathletik entgegengebracht wird, ist bemerkenswert. Fans auf der ganzen Welt scheinen sich sehr über ihren Europameistertitel zu freuen. In den letzten Jahren scheint es einen weiteren Popularitätsschub bekommen zu haben. “Das habe ich bei der WM in Eugene gespürt”, sagt er. “Das deutsche und das französische Fernsehen wollten mich schon, ich sehe jetzt, dass sie auf mich achten.” Und er fügt lachend hinzu: „Ich bin schon lange dabei.“

Der Sportsgeist

Wer Kambundji nach dem 100-Meter-Finale am Dienstag fragt, bekommt überraschend entspannte Antworten – obwohl sie nur um fünf Millimeter von Gina Lückenkemper (25) geschlagen wurde, die ihr normalerweise nicht das Wasser reichen kann. „Mir war immer klar, dass man sie auf dem Konto haben muss“, sagt Kabunji. “Vor allem in Deutschland, vor heimischem Publikum.” Der Berner denkt noch grösser. „Es ist gut für unseren Sport, dass die Deutschen in Deutschland gewinnen. Wenn die Leute, die ins Stadion kommen, gute Erfahrungen machen, kommen sie hoffentlich wieder. Davon profitieren alle.” Das geht so weit, dass Kambundji Lückenkemper im Ziel der 100 zujubelte. „Ah, schön“, dachte er, als er die „1“ neben ihrem Namen aufleuchten sah. “Da wurde mir klar, ‘Mist, das heißt, ich bin nur Zweiter’”, sagt er. „Aber Gina hat mich geschlagen, sie war schneller als ich. Sie hat es verdient.”

Ablauf

Als er vor drei Jahren in Doha das WM-Finale über 100 Meter nur knapp verpasste, hatte er die Nase voll. „Als ich das Stadion verließ, traf ich eine polnische Athletin, die sagte, ihre Saison sei vorbei und sie gehe nach Hause. Ich habe sie in diesem Moment beneidet.” Es dauerte mehr als eine Nacht und ein Anruf bei Clivaz, um es wieder zum Laufen zu bringen. Der Rest ist Geschichte: Er holte Bronze über 200 m. So hätte es auch dieses Jahr sein können, nachdem ich Gold über 100 m verpasst habe.“ „Aber ich bin jetzt an einem Ort, an dem ich mit solchen Situationen umgehen kann. Ich bin sehr gereift, das freut mich.” Blick-Gisi über Kambundji: „Von ihr können wir noch zwei Medaillen erwarten“ (01:14)

Das Training

Jeder, der schon einmal ein Sprint-Workout gesehen hat, weiß, dass es nicht wirklich spektakulär anzusehen ist. Was liebt Kabunji daran? „An sich arbeiten, sich verbessern und konstanter werden. Das fasziniert mich.” Kabunji gelingt dies offenbar Jahr für Jahr. Das klingt auf den ersten Blick auch langweilig: Aber dass sie seit Jahren zu den Besten der Welt gehört und ständig mit der Spitze sprintet, ist vielleicht ihr größter Erfolg. Mit ihrem langjährigen Vertrauten Adrian Rothenbühler, Sprint-Nationaltrainer Patrick Saile und Clivaz hat sie in der Schweiz ein Trainingsteam aufgebaut, das ganz auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten ist. Mehr zu Mujinga Kambundji

Die Ziele

Beim Sport ist die Prämisse klar: „Schneller sein, mehr Medaillen holen.“ Und nebenan? “Sei ein besseres Ich.” Bernerins Streben nach Verbesserung endet nicht am Rand der Tartanbahn. “So überprüfe ich.” Apropos Zecken, einer der Bereiche, den Kabunji verbessern möchte: „Seien Sie präziser. Früher war es schlimm, jetzt ist es etwas besser.”