Sicherheitsexperte Michael Haas sieht die Beweislast, dass Russland das Kriegsvölkerrecht nicht eingehalten hat, als überwältigend.

                            Autor: Lukas Füglister und Remi Bütler                             

Butschas Fotos schockieren die Menschen. Nach dem Abzug der russischen Besatzer aus der Stadt nördlich von Kiew liegen viele Leichen von Zivilisten auf der Straße. Einige von ihnen werden gefesselt und in den Kopf geschossen. Auch ein Massengrab wird entdeckt. Insgesamt ist von mindestens 300 Toten die Rede. Der Westen wirft Russland Kriegsverbrechen vor, ukrainische und internationale Behörden sammeln Beweise. Die russische Seite wies die Vorwürfe am Sonntag entschieden zurück und argumentierte ohne Beweise, dass die Menschen erst nach dem Abzug der russischen Truppen am 30. März getötet wurden, als ukrainische Sicherheitskräfte Bucha kontrollierten.

Satellitenbilder enthüllen russische Behauptungen

Doch Satellitenbilder zeigen nun deutlich, dass viele Leichen in Bucha schon vor Wochen auf den Straßen lagen – lange bevor die russischen Truppen abzogen. Das ist das Ergebnis einer Analyse der New York Times. Das Satellitenfoto der Jablonska-Straße in Bucha im Bild unten rechts stammt vom 19. März. Es zeigt Objekte von der Größe menschlicher Körper, die sich in genau derselben Position und Position befinden wie die Leichen in einem Video, das am 1. April von einem örtlichen Beamten in den sozialen Medien gepostet wurde. Legende: Rechts ein Satellitenbild der Jablonska-Straße am 19. März, links eine Aufnahme eines Videos aus sozialen Medien vom 1. April. Beide Fotos zeigen Leichen an genau denselben Stellen und Plätzen. © 2022 Maxar Technologies / Redaktion: New York Times Sicherheitsexperte Michael Haas untersuchte die Bilder für SRF. Er forschte bis Ende Jahr an der ETH Zürich und ist heute unabhängiger Sicherheitsexperte mit Spezialisierung auf Satellitenbildanalyse in Kriegs- und Konfliktgebieten. Auch ihm ist klar: „Man sieht hier, dass die russische Erzählung nicht mit den Zeitangaben übereinstimmt, die wir aus Satellitenbildern ablesen können.“ Die russische Erzählung stimmt nicht mit den Daten überein, die wir aus den Satellitenbildern ablesen können.
Zunächst einmal ist die Satellitenfernerkundung eine sehr genaue Wissenschaft. Es ist wichtig, einen genauen Zeitstempel zu haben. „Dank der Metadaten können wir sehr genau nachvollziehen, wann und von wo das Foto aufgenommen wurde.“ Eine Manipulation hält Haas hier für nahezu ausgeschlossen: „Es ist sehr schwierig, mit diesen Metadaten so zuverlässig umzugehen, dass sie nicht explodieren.“ Auch der Imageschaden kommerzieller Anbieter wäre sehr groß, wenn Manipulationen aufgedeckt würden. Das mutmaßliche Massengrab ist bereits am 10. März sichtbar 1/3 Bildunterschrift: Satellitenfoto vom 31. März: Das mutmaßliche Massengrab in der Kirche Agios Andreas in Boutsa ist gut zu erkennen. © 2022 Maxar-Technologien 2/3 Bildunterschrift: Satellitenfoto vom 10. März: In der Kirche Agios Andreas in Bouha sind erste Spuren eines Massengrabes zu sehen. © 2022 Maxar-Technologien 3/3 Legende: Satellitenfoto vom 28. Februar: Auf dem Kirchengelände in Bucha gibt es keine Ausgrabungsspuren. © 2022 Maxar-Technologien Insgesamt zeigen die Satellitenbilder der vergangenen Woche für Haas eine erdrückende Beweislast, „dass die Regeln des Kriegsvölkerrechts nicht eingehalten wurden, dass Forderungen wie Verhältnismäßigkeit oder die Vermeidung unnötigen Leidens der Zivilbevölkerung keine Rolle gespielt haben dieser russischen Militäroperation”.

Satellitenbilder bleiben nur ein Beweis unter vielen

Klar ist jedoch, dass Satellitenbilder immer kritisch hinterfragt und hinterfragt werden müssen. Denn: „Natürlich darf man sich keine Illusionen machen: Je mehr Satellitenbilder in der öffentlichen Debatte eine Rolle spielen, desto mehr wird versucht werden, durch Manipulationen öffentlich zugänglicher Bilder ein Narrativ zu erzeugen.“ Für Haas bleiben Satellitenbilder jedoch nur ein Beweisstück unter vielen, um Kriegsverbrechen vor Gericht zu beweisen. „Das muss man mit der klassischen Forschungsarbeit verbinden. Also mit der Auswertung der vor Ort gemachten Fotos, mit belastbaren Interviews und Zeugenaussagen.“

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