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WELT: Herr Weil, Sie sind gerade aus Großbritannien zurückgekehrt, wo Sie mit den Briten über die Energieversorgung der Zukunft gesprochen haben. Haben Sie auch Ideen oder Vereinbarungen mitgebracht, die uns in der aktuellen Notlage helfen könnten? Stephan Weil: Nein, leider nicht, wir müssen jetzt unsere eigene Arbeit machen. Die Briten können uns dabei nicht helfen. Langfristig wäre es aber durchaus sinnvoll, erweiterte Lieferbeziehungen insbesondere mit Schottland zu vereinbaren. Die Schotten werden Offshore-Windkraft im Überfluss haben – und damit den Rohstoff für die Wasserstoffwirtschaft der Zukunft. Lesen Sie auch Gleichzeitig werden in Norddeutschland neue Terminals für Gasimporte gebaut, die wir mit Bedacht auch für Wasserstoff auslegen werden. Damit soll ein wesentlicher Beitrag zu einer neuen, zuverlässigen und klimaneutralen Energieversorgung geleistet werden. WELT: Das wird uns nächsten Winter nicht helfen. Was hat er für die Deutschen auf Lager? Denn: Konkret absehbar ist das noch nicht. Bis zum Beginn der nächsten Heizsaison werden wir große Anstrengungen unternehmen müssen, um die Engpässe der russischen Gasversorgung im Ernstfall ausgleichen zu können. Dazu gehört hier in Niedersachsen der sehr schnelle Ausbau der Gasentladungsinfrastruktur in Wilhelmshaven. Allein dadurch können wir bis zum ersten Quartal 2023 etwa 20 Prozent der russischen Gaslieferungen und bis zum Sommer etwa 40 Prozent ersetzen. Lesen Sie auch Hohe Strom- und Gaspreise
WELT: Niedersachsen ist auch das Bundesland mit dem Löwenanteil der deutschen Gas- und Ölvorkommen – die zuletzt aus Umweltgründen nicht ausgebeutet wurden. Ändert sich das jetzt? Denn: Wir werden das umgehend mit den Unternehmen besprechen, die sich mit der Förderung von Gas und Öl in Niedersachsen befassen. Allerdings sind die bereits erschlossenen Entwicklungsflächen mittlerweile weitgehend erschöpft. Allerdings muss unter dem Druck der aktuellen Umstände überlegt werden, ob man intensiv und mehr unterstützen kann als vorgesehen.

“Russisches Gas fließt und die Pipelines sind voll”

Im Interview mit WELT äußert sich Klaus Müller zu der in Deutschland ausgerufenen „Frühwarnstufe für Gas“.  “Russisches Gas erreicht Deutschland und es gibt keine Notversorgung”, sagte der Präsident des Bundeskriminalamts.  Aber was passiert, wenn der Gashahn schließt? 
Quelle: WELT / Lena Mosel 

WELT: Heißt das, dass Fracking-Gas anders als in den Vorjahren in Niedersachsen gefördert werden sollte? Weil Nein. Nach Jahren verzweifelter und emotionaler Auseinandersetzungen hat auch die Gasindustrie eingeräumt, dass ihr die Akzeptanz fehlt. Längere Meinungsverschiedenheiten über neue Förderstellen würden folgen, und das hilft uns nicht weiter. Wir brauchen jetzt schnelle Lösungen. Ministerpräsident Weil hält das Bohren nach Gas in der Nordsee und nicht direkt im Wattenmeer für ökologisch gerechtfertigt Quelle: dpa WELT: Auch das Land Niedersachsen hat sich bislang gegen eine Gasbohrung in der Nordsee ausgesprochen. Jetzt will ein niederländisches Unternehmen dort Gas produzieren. Wirst du zustimmen? Denn: Wenn der Umweltschutz gewährleistet ist, glaube ich, dass das passieren wird. Wir können nicht erwarten, dass die Niederlande uns mehr Gas liefern – und ihnen gleichzeitig die Möglichkeit nehmen, dieses Gas auch im Grenzgebiet zu fördern. Außerdem soll die Durchdringung dieser Gasvorkommen vor dem Wattenmeer im niederländischen Seegebiet und nicht direkt im Wattenmeer erfolgen. Letzteres wäre aus ökologischer Sicht ein viel größerer Verlust. Lesen Sie auch WELT: In Niedersachsen, im Emsland, haben Sie außerdem noch eines von drei Atomkraftwerken am Netz. Sie können es angesichts der Situation nicht aus dem Raster entfernen, oder? Denn ja, das wird es. Erstens haben wir ein Problem mit Gas, nicht mit Strom. Zweitens ist die Stilllegung von Kernkraftwerken längst eine Gewissheit und alle Beteiligten darauf vorbereitet. Daher sind erhebliche zusätzliche Sicherheitsanstrengungen und -investitionen erforderlich, um diese Entscheidung rückgängig zu machen. All dies wird Zeit in Anspruch nehmen, und es werden deutlich längere Fristen erforderlich sein, um diese Investitionen zu refinanzieren. Wie viele Ausgaben von der Ausgabe wären es? Lesen Sie auch WELT: Sie selbst haben wie viele SPD-Politiker immer großen Wert auf ein gutes Verhältnis zu Russland gelegt, Sie haben sich lange gegen Sanktionen und für die Gaspipeline Nord Stream2 ausgesprochen – wie frustriert sind Sie von Putin? Denn: Enttäuschung gilt nicht. Aus einem autoritären, aber rational mächtigen Politiker ist ein vor allem von bolschewistischen Interessen motivierter Imperialist geworden. Unser gesamtes System des gegenseitigen Schutzes, das vor 50 Jahren mit der Ostpolitik seinen Anfang nahm, basiert auf dem rationalen Verhalten aller Beteiligten. Verweigert ein Partner diese Rationalisierung, funktioniert das ganze System nicht mehr. Dies geschieht jetzt, und deshalb müssen wir umdenken. Putin hat jegliches Vertrauen verloren. Dies ist irreversibel. Im Moment habe ich noch keine Ahnung, wie wir zur Normalität zurückfinden sollen. Für Russland, für die Menschen dort, ist das eine Katastrophe. Lesen Sie auch WELT: Wie konnten Sie, deutsche Politiker, aber auch viele Medien, von der russischen Führung dem Schlaflied überlassen werden? Trotz Krim-Annexion, trotz Bombardierung von Aleppo? Denn: Die Frage ist leider berechtigt und ich stelle sie mir selbst. Die Antwort hat sicherlich mit unserem Grundwunsch nach dauerhaftem Frieden in Europa zu tun. Die Vermutung, dass diese Sehnsucht auch auf russischer Seite existiert, wird durch den Angriff auf die Ukraine widerlegt. Es war ein Fehler, den wir vorher nicht verstanden haben. Lesen Sie auch WELT: Einer, der aus diesen Fehlern keine Schlüsse zieht, ist der von Ihnen stets geschätzte Altkanzler Gerhard Schröder. Haben Sie Kontakt zu ihm? Denn: Wir waren in Kontakt, konnten uns aber in dieser Frage nicht einigen. Lesen Sie auch WELT: Der ukrainische Botschafter Andriy Melnyk wirft dem amtierenden Bundespräsidenten und früheren Außenminister Frank-Walter Steinmeier eine zu große Nähe zu Russland vor. Fällt es den Sozialdemokraten besonders schwer, sich von Russland zu distanzieren? Denn: Die Kritik am Bundespräsidenten finde ich absurd. Und was die Kritik an der Sozialdemokratie betrifft, möchte ich Sie daran erinnern, dass es in dieser Frage bei allen Bundeskanzlern von Willy Brandt bis Angela Merkel einen großen politischen Konsens gegeben hat. Aber es bleibt dabei: Die Grundlage für diese Lektion wurde weggelassen. Hier finden Sie Inhalte Dritter Die Anzeige von eingebetteten Inhalten erfordert Ihre widerrufliche Zustimmung zur Übermittlung und Verarbeitung personenbezogener Daten, da Anbieter von eingebetteten Inhalten als Drittanbieter diese Zustimmung benötigen [In diesem Zusammenhang können auch Nutzungsprofile (u.a. auf Basis von Cookie-IDs) gebildet und angereichert werden, auch außerhalb des EWR]. Indem Sie den Schalter auf „on“ stellen, erklären Sie sich damit einverstanden (jederzeit widerrufbar). 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