Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat die Vereinten Nationen aufgefordert, das Vetosystem im UN-Sicherheitsrat zu reformieren. „Es muss alles getan werden, damit das internationale Gremium effektiv handeln kann“, sagte Selenski am Dienstag in einem Videoclip vor dem Sicherheitsrat. Er forderte auch, dass Moskau für die in Bucha begangenen Gräueltaten zur Rechenschaft gezogen wird. Russland versuche sein Bestes, um “die Ukraine in dumme Sklaven zu verwandeln”.
Alice Hohl, Simone Leonhartsberger (Text), Roland Winkler (Bilder), Florian Zischka (Video), Mario Palaschke (Schnitt), alle ORF.at Eine Option sei, “Russland als Aggressor zu beseitigen und einen Krieg zu beginnen, damit es Entscheidungen über seine eigene Aggression nicht länger blockieren kann”. Der ukrainische Präsident bezog sich auf das Vetorecht Russlands im UN-Sicherheitsrat. Ohne Reformen könnten die Vereinten Nationen “stillgelegt” werden, sagte der ukrainische Präsident. “Wir haben es mit einem Staat zu tun, der sein Veto in ein Todesrecht umwandelt.” Selenskyj beschrieb im Detail schreckliche Szenen aus Bucha. In der Stadt bei Kiew wurden nach dem Abzug russischer Truppen Hunderte Leichen gefunden, die nach ukrainischen Angaben auf Kriegsverbrechen durch russische Soldaten hindeuten. In Bouha wurden Menschen “in ihren Wohnungen, in ihren Häusern” durch Granaten getötet, Frauen vor den Augen ihrer Kinder vergewaltigt. Selenskyj verglich die Aktionen der russischen Streitkräfte mit denen von “Terroristen”, etwa Anhängern der Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS). Sie würden Menschen “zum Spaß” töten.
UN: Fast 1.500 Zivilisten wurden in der Ukraine als tot bestätigt
Nach Angaben der Generalstaatsanwaltschaft der Ukraine wurden mehr als 7.000 Berichte über russische Kriegsverbrechen eingereicht. Die meisten Opfer befanden sich in Borodyanka. Einige der Informationen können nicht unabhängig überprüft werden. US-Satellitenbilder zeigen offenbar, dass einige der im Kiewer Vorort Bucha gefundenen Leichen bereits dort lagen, bevor die russischen Truppen abzogen. Der Kreml hat jedes Fehlverhalten bestritten und die Ukraine beschuldigt, Spezialeinheiten eingesetzt zu haben, um mutmaßliche Tötungen von Zivilisten in ukrainischen Städten durchzuführen, um Propaganda in den westlichen Medien zu verbreiten. Die Vereinten Nationen haben den Tod von 1.480 Zivilisten in der Ukraine nach der Invasion Russlands dokumentiert. Außerdem seien 2.195 Zivilisten verletzt worden, sagte Rosemary DiCarlo, die UN-Beauftragte für politische Angelegenheiten.
Viele EU-Staaten schieben russische Diplomaten ab
Inzwischen weisen immer mehr europäische Länder russische Diplomaten aus. Auf Deutschland und Frankreich folgten am Dienstag Italien, Spanien, Dänemark, Schweden, Slowenien, Rumänien, Portugal, Estland und Lettland – insgesamt wurden innerhalb von 48 Stunden mehr als 200 Diplomaten getroffen. Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) zögert mit einem solchen Schritt. Wenn er von den Geheimdiensten einen konkreten Fall hört, wird er reagieren. Aber er wird nicht viele Diplomaten ausweisen. Er ist der Meinung, dass solche Abschiebungen nicht national erfolgen, sondern vorab in Brüssel koordiniert werden sollten. Der Kreml kritisiert die Massenabschiebungen als “kurzsichtig”. „Die Beschränkung der Möglichkeiten für diplomatische Kommunikation und diplomatische Arbeit unter solch beispiellos schwierigen und kritischen Bedingungen ist ein kurzsichtiger Schritt“, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peschkow. Gleichzeitig kündigte er russische Gegenmaßnahmen an.
Nehammer werde “in den kommenden Tagen” nach Selenskyj reisen.
Unterdessen kündigte das Kanzleramt in Wien am Dienstag an, Ministerpräsident Karl Nehammer (ÖVP) werde „in den kommenden Tagen“ in die Ukraine reisen und dort ein Treffen mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj anberaumen. Auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und EU-Außenbeauftragter Josep Borrell werden diese Woche nach Kiew reisen. Ziel sei es, die Ukraine weiterhin bestmöglich humanitäre und politisch zu unterstützen, teilte das Kanzleramt mit. Österreich hat bereits mehr als 17,5 Millionen Euro aus dem Auslandskatastrophenfonds bereitgestellt und 10.000 Helme und mehr als 9.100 Schutzwesten für den zivilen Einsatz geliefert.
Die Europäische Kommission schlägt neue Sanktionen vor
Die Europäische Union will erstmals Energiesanktionen gegen Russland verhängen: Die EU-Kommission habe am Dienstag ein “Verbot von Kohleimporten aus Russland im Wert von vier Milliarden Euro pro Jahr” vorgeschlagen, sagte Kommissionspräsidentin von der Leyen. Auch die Einfuhr von Holz, Zement und alkoholischen Getränken wie Wodka soll verboten werden. Darüber hinaus sollten russische Schiffe und von Russland betriebene Schiffe nicht mehr in Häfen der Europäischen Union einlaufen dürfen. Bereits verhängte Sanktionen gegen russische Banken sollen verschärft werden.
Diskussion: Welche Rolle spielt der Westen?
Mit den offensichtlichen russischen Verbrechen an der ukrainischen Zivilbevölkerung hat der Krieg in der Ukraine eine neue Dimension des Terrors bekommen. Wie könnte eine politische Lösung aussehen? Welche Folgen haben die mutmaßlichen Verbrechen gegen Zivilisten? Welche Rolle spielt der Westen? Chatten Sie mit debatte.ORF.at!