Die Amerikaner stehen in Krisenzeiten geschlossen hinter ihrem Präsidenten – bislang aber nicht hinter Biden: Die Zahlen in seinen Umfragen sind durchweg schlecht. Grund sind innenpolitische Probleme. Von Sebastian Hesse, ARD Studio Washington
„Schwach und schwankend“ – so betitelte Fox-News-Star Laura Ingraham ihre Nachmittagsshow über Bidens Europareise Anfang dieser Woche zum Konflikt in der Ukraine: schwach und instabil. Schon ihre Antrittsmoderation warf Biden am besten hin: “Mit Biden in Europa hat die Welt einen ineffektiven, zögerlichen und heuchlerischen US-Präsidenten gesehen!” brüllte er. MDR-Logo Sebastian Hesse ARD-Studio Washington Dieses Geräusch kennen Sie jetzt aus „Fox News“. Und wer freundlichere Töne zum Krisenmanagement in der Ukraine hören will, sollte den Kanal wechseln: NBC News etwa ist eine glaubwürdige prodemokratische Partei. Doch neben Ingraham überraschte dort auch Moderator Chuck Todd mit den Ergebnissen einer Umfrage, die im Weißen Haus unter die Haut ging. „71 Prozent aller Amerikaner haben wenig Vertrauen in Bidens Fähigkeit, auf Putins Krieg zu reagieren“, so eine NBC-Umfrage. Woher kommt dieser Unglaube?
Das Chaos in Afghanistan und seine Folgen
Zunächst versucht die Opposition unermüdlich, die durch Putins Aggression verursachte Verunsicherung zu nutzen, um eine Atmosphäre zu schaffen: “Unter Trump würde Putin das nicht wagen”, lautet die republikanische Devise dieser Tage. Der prominente Senator Ted Cruz aus Texas etwa behauptet, Biden sei mitverantwortlich für die ukrainische Tragödie. „Dieser Krieg ist eine direkte Folge des wiederholten Versagens von Präsident Biden und seiner Regierung“, sagte Cruz bei einer Anhörung im Senat.
Als Beispiele nannte er Bidens langjährige Zurückhaltung, Sanktionen gegen Nord Stream II und den Truppenabzug aus Afghanistan zu verhängen. Bilder des Chaos in Kabul brennen im amerikanischen kollektiven Gedächtnis. Auch überparteiliche Analysten in den USA sind überzeugt, dass Putins Elend in Afghanistan als Zeichen der Schwäche gewertet und der Westen überschwemmt wurde.
Ein Vorschlag ändert die Stimmung
Auch aus dem eigenen politischen Lager erhält Biden nicht die Unterstützung, die er sich wünschen würde. Bis zum vergangenen Wochenende sprach die Partei weiterhin weitgehend mit einer Stimme. Als etwa der Abgeordnete Mike Quigley das Schmieden des internationalen Bündnisses gegen Putin lobte: „Die Biden-Regierung hat die Nato und den Westen meisterhaft vereint und Militärhilfe organisiert“, lautete sein Lob.
Der Ton änderte sich dann allerdings mit Bidens berüchtigter Neun-Wort-Aussage in seiner Warschauer Rede: „Um Gottes willen – dieser Mann kann nicht an der Macht bleiben!“ Dieser offensichtliche Aufruf zum Sturz Putins verärgerte viele der Parteifreunde des Präsidenten, einschließlich des Senators von Rhode Island, Jack Reed. „Ich denke, ein etwas anderer Ansatz hätte die Dinge besser gemacht“, sagte der Demokrat.
Am Kreuzfeuer oder am Gipfel?
Und so verwundert es nicht, dass das kriegsmüde Amerika seine üblichen Reflexe verloren hat: Die Erfahrung hat gezeigt, dass die Nation in Kriegszeiten hinter ihrem Präsidenten steht. George W. Bush erfreute sich nach dem 11. September und zu Beginn der Invasion Afghanistans einer Wahlbeteiligung von über 90 Prozent. Bidens wirklich freundliche “NBC News” konnte nur die 40 Prozent finden, die dem aktuellen Präsidenten ein gutes Zeugnis ausstellten. “Das ist die niedrigste Akzeptanzrate seit Bidens Übernahme!” bewunderte den Koordinator Todd.
Bemerkenswert ist, dass sich die Befragten in einzelnen Aspekten sicherlich mit Biden einig sind. Das ergab auch eine Untersuchung des Radiosenders „NPR“: Die Amerikaner lehnen derzeit die Entsendung amerikanischer Truppen ab. Sie unterstützen Waffenlieferungen und befürchten eine Flugverbotszone über der Ukraine – alles Biden-Stellungen. „Das zeigt, dass die Amerikaner ihren Präsidenten wirklich unterstützen“, sagte Jonathan Capehart von der Washington Post. „Im Ukraine-Krieg ist Biden am Puls der Zeit!“
Die Inflation bleibt das drängendste Problem
Dass dies seinen enttäuschenden Akzeptanzwert nicht erhöht, liegt wohl daran, dass sich die Amerikaner derzeit mehr mit anderen Themen beschäftigen. Das unterstreichen die Recherchen von „NBC News“. „Mehr als zwei Drittel möchten, dass Biden die Binnenwirtschaft zur obersten Priorität macht. Und nicht so sehr die Krise in der Ukraine“, sagte Todd.
Die Inflation liegt derzeit bei 6,4 %. Der Preis pro Gallone Benzin ist heutzutage fast 50 Prozent höher als noch vor einem Jahr.
Der tägliche Kampf des beliebten Tagesmoderators von Fox News, Sean Hanniti, spiegelt auch wider, wie stark die Inflationsrate und die Explosion der Benzinpreise den Geist beeinflussen. “Könnten Sie sich vorstellen, dass Bidens Präsidentschaft schlechter werden würde?” fragte der konservative Nachtsprecher mit verstohlener Freude. Und dann zum ungeliebten Präsidenten: “Die Inflation ist auf dem höchsten Stand seit 48 Jahren, Joe!” Alles auf Kosten der Armen und der Mittelschicht, fügt Hannity hinzu – eine klassische Klientel der Demokraten.
Der Kolumnist der New York Times, David Brooks, bleibt ruhig. „Wenn Sie die Amerikaner fragen würden, was sie denken würden, wenn Joe Biden Ihnen wunderschöne Sonnenuntergänge bescheren würde, dann wären 85 Prozent immer noch das Gegenteil“, sagt er und zuckt mit den Schultern zu PBS. Im Zeitalter der Parteilichkeit sind Meinungsumfragen eines: Ausdruck der Parteilichkeit.