Wien. Die Botschaft des russischen Diplomaten Michail Uljanow war kurz. Es zählte nur 30 Zeichen. Aber er entfesselte einen Sturm der Wut. Reaktionen auf den inzwischen gelöschten Tweet reichten bis ins 1.000 Kilometer von Wien entfernte Regierungsviertel in Kiew. “Keine Gnade für die ukrainische Bevölkerung!” twitterte Uljanow, Ständiger Vertreter Russlands bei internationalen Organisationen in Wien. Auch in Wien gingen die Nachrichten weiter. Uljanow hatte am Sonntag nicht frei. Außenminister Alexander Schallenberg lud ihn in sein Ministerium ein. Am Sonntagabend, nachdem diese Ausgabe in die Presse gegangen war, sollte Generalsekretär Peter Launsky-Tieffenthal ihm dort entgegentreten, wie die “Presse” vorab mitteilte. Uljanow hatte den Tweet am Samstagabend hinterlassen. Darin kommentierte er eine kurze Botschaft des ukrainischen Präsidenten, in der Wolodymyr Selenskyj ihm für neue Waffenlieferungen aus den USA dankte. Der Aufschrei war groß. Es sprach der Sprecher der Werchowna Rada, des ukrainischen Parlaments, Ruslan Stefanchuk. Er interpretierte Uljanows kurze Botschaft als Aufruf zum Völkermord. Er forderte die Staats- und Regierungschefs in Österreich zum Handeln auf. Er sollte Uljanow aus dem Land werfen. „Diese völkermörderische Sprache sollte nicht toleriert werden“, schrieb der Sprecher des ukrainischen Außenministeriums, Oleh Nikolenko. Uljanow sollte zur Persona non grata erklärt werden. Aber so weit wollte Wien nicht gehen. Allerdings wählte das Außenministerium in seiner Antwort scharfe Worte. „Wir sind empört über die menschenverachtenden Äußerungen des Ständigen Vertreters Russlands und über seine Versuche, das zu relativieren, was nicht relativiert werden kann.“ Der Skandal kommt zur falschen Zeit. Uljanow ist nicht irgendeiner. Der Diplomat ist auch russischer Unterhändler bei den Nuklearverhandlungen mit dem Iran, die nun ins Inland gehen. Die Iran-Akte liegt sozusagen auf seinem Schreibtisch. Uljanow selbst fühlte sich unverstanden. Seiner Verteidigungslinie zufolge meinte er nur, dass Selenskyj keine Gnade für sein eigenes Volk habe. „Ich habe emotional auf Selenskyjs Botschaft reagiert – wieder nur Waffen, keine Diplomatie“, sagte der APA-Diplomat. Vielleicht hätte er statt eines Ausrufezeichens ein Fragezeichen setzen sollen.

Dies ist nicht der erste Vorfall auf Twitter

Es ist keineswegs das erste Mal, dass russische Diplomaten mit ihren Tweets für Empörung sorgen. Konstantin Gavrilov, der die Abrüstungsverhandlungen in Wien leitet, teilte kürzlich auf Twitter eine Nachricht, in der ein selbsternannter Stalinist die Wiedereinführung des stalinistischen Staatsterrors in Russland forderte. Gawrilows Position zu diesem Antrag blieb jedoch unklar. (umstritten/APA) (“Die Presse”, Printausgabe, 22. August 2022)